Möglichkeiten und Grenzen von Selbstreflexion …

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Die Relevanz von Selbst-bewusstheit in einer komplexen Arbeitswelt

Selbstreflexion wird in vielen Artikeln von Berater*innen als Metakompetenz gefeiert. Sich seiner selbst bewusst zu werden ist in einer Arbeitswelt, in der Führungskräfte mindful, emotional und vor allem agil und situativ sein sollen, erforderlich. Der Umgang mit ungeahnten Herausforderungen und Unsicherheiten, mit flexibleren Rollenmodellen in der Organisation, mit Mitarbeiter*innen, die ihre Arbeit mit Sinn und Vereinbarkeit mit privaten Interessen erfüllen wollen, bedarf einer neuen Qualität der Persönlichkeitskompetenz. Selbst-bewusstsein ist gefragt: Nach welchem Muster handele ich? Wie hilfreich ist es? Welche Handlungsalternativen kann ich bieten? Diese Fragen stellen sich Führungskräfte, die ihrer Aufgabe gerecht werden wollen. Doch wie weit reicht Selbstreflexion, um diese Fragen zu beantworten?

 Reflexion ist das Zurückgeworfen werden von etwas – in der Physik ist es z.B. Schall oder Licht. In unserer Branche meint man damit Nachdenken. Selbst-reflexion ist somit das Nachdenken über sich selbst bzw. das eigene Verhalten. Ich kann beim Nachdenken darauf schauen, welche der Teile, die in meiner Sinnlogik vorhanden sind, bei meinem Handeln unterbelichtet waren. Um die Taschenlampe auf diese unterbelichteten Flecken zu bekommen sind Anregungen von außen hilfreich, z.B. theoretische Modelle, worin auch die Teile beinhaltet sind, die nicht mein Autopilot sind. So kann ich beispielsweise schauen, welches meiner Ohren in einer Kommunikation eingeschaltet war und welches nicht. Oder, ob ich mehr auf der Gefühls- der Handlungs- oder der Denkebene unterwegs war, als ich jene Entscheidung getroffen habe. Das kann ich allein tun und das ist wertvolle Selbst-reflexion.

Wo die Grenze von Selbstreflexion ist

Wenn Torsten Groth schreibt, wir brauchen auch Führung 2. Ordnung, und meint damit „die Funktion, welche die Überlebensfähigkeit eines Gesamtsystems in den Blick nimmt und dabei als kritische Beobachterin 2. Ordnung beobachtet, ob die Beobachtungskriterien der Organisation noch angemessen sind.“ (Groth 2017, 98), dann ist für mich klar, dass ich das so wenig allein kann, wie Münchhausen sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen kann. Wenn wir davon ausgehen, dass das psychische (wie auch das soziale) System autopoietisch also selbstreferentiell ist, wenn ich also meine eigene Denk- und Sinnlogik habe, mit der ich auf die Welt schaue, was soll ich dann beim Nachdenken wesentlich anderes sehen, was ich nicht sowieso schon sehe? Der Beobachter kann nicht sein eigenes Beobachten beobachten. Ich kann echte blinde Flecken nicht mit dem Denken sehen, mit dem ich sie produziere und somit reproduziere ich sie mit einem Nachdenken in der Form des „Mehr vom selben“.

Eine echte Reflexion ist das Zurückgeworfen werden von etwas – dazu braucht es ein Gegenüber, wo das eigene Denken an- und in veränderter Form zurückkommen kann. Da ist oft die Alltagssituation der erste Coach, der mich spüren lässt, dass ich an Grenzen gerate: In der Kommunikation, in meinem Arbeitsverhalten, mit meinen Zielen. Das alte Muster greift nicht mehr. Die alte Logik ist an ihr Ende gekommen. Doch liegt es wohl kaum an mangelnder Intelligenz, wenn stimmigere Perspektiven nicht in den Blick geraten: Das andere Denken und Handeln kommt deshalb nicht in Betracht, weil wir uns schützen wollen. Wir bleiben im alten Denken, in der Komfortzone, weil wir alte Erfahrungen von Ausgrenzung, Abwertung, Unsicherheit und den damit verbundenen Gefühlen von Angst, Scham, Schuld und Einsamkeit in uns gespeichert haben. Diese Lernerfahrung, die uns in der Vergangenheit vor schmerzhaften Erfahrungen geschützt hat, hindert uns nun daran, dieses Verhalten als Möglichkeit im Hier und Heute in die Wahrnehmung zu bekommen. Das ist der blinde Fleck. Er ist häufig manifestiert in Werten, Glaubenssätzen und sind zum Teil der Identität geworden. Wie kommt nun der „blinde Fleck“ in den Blick, wenn nicht durch Selbst-reflexion? Durch das gemeinsame Hinschauen mit einem*r Expert*in. Durch Supervision.

Supervision – der Ansatz mit Metaperspektive und Reflexion in Beziehung

Nein, Supervision hat nichts mit Visionen zu tun, wie man mich schon fragte. Es ist auch nicht Teil eines Kontrollsystems, wie der Begriff im Englischsprachigen bisweilen verwendet wird. Supervision ist der Blick von oben im Sinne der Beobachtung 2. Ordnung. Hier wird die Taschenlampe nicht nur auf vielleicht etwas unterrepräsentierte Anteile geleuchtet, sondern als systemtheoretisch ausgerichtete*r Supervisor*in stelle ich bereits zu Beginn die Hypothese, dass das vom Coachee oder Supervisand*in formulierte Ziel Teil des Musters ist, weshalb er oder sie gekommen ist. In der Supervision wird unterstellt, dass das Verhalten, welches gerade an seine Grenze gekommen ist, bislang einen Lösungsversuch darstellte. Als Expert*in frage ich mich: „Für welches ‚Problem‘ ist das aktuelle Verhalten der Lösungsversuch?“. Es geht darum, dieses Muster zu erkennen und zu verstehen. In der Regel entwickelt sich durch dieses Bewusstsein im gemeinsamen Arbeiten das Ziel der Beratung (Dies gilt für mich als Systemikerin übrigens genauso für die Organisationsberatung wie für die Individualberatung.).

Dies ist allerdings kein rein intellektuelles Unterfangen. Es geht bei echten transformatorischen Herausforderungen auch darum, sich den unangenehmen, unlustbereitenden Gefühlen zu stellen und damit einen erwachsenen Umgang zu finden. Damit sich ein Coachee auf die eigenen Schattenseiten einlassen kann, braucht er*sie ein Umfeld von Sicherheit. Die Community der Supervisor*innen versteht die Reflexion eigener Anteile an einer Situation als grundlegenden Teil ihrer Profession. Die Kompetenz, die solche „Reflexionshelfer*innen“ brauchen, ist also eine über einen längeren Zeitraum gewachsene, ebenfalls professionell reflektierte Beziehungs- und Emotionskompetenz.

Fazit

Wer Selbstreflexion auf seine Fahnen schreibt tut an sich Gutes, sollte jedoch um die Grenzen derselben wissen. Wer echte transformatorische Schritte gehen möchte, braucht „Inner Work“, wie es Joanna Breidenbach formuliert. Dazu sind professionelle Gegenüber äußerst hilfreich. Bei der Auswahl eines Coaches oder Supervisor*in gilt es darauf zu schauen, ob diese eine umfangreiche Ausbildung genossen hat, in der Raum für Wachstum und Reflexion der Berater*innenpersönlichkeit gewährleistet ist, wie z.B. in einer durch die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv) qualifizierten Ausbildung. Auf diesem Wege können sich ungeahnte Möglichkeitsräume öffnen.