Vom einsamen zum gemeinsamen Denken

Steinkreisoder vom Denken im Kreis statt vom Kreisen der ewigselben Gedanken

Kollaboration ist in aller Munde. Teamgeist, Ko-kreativität, gemeinsame Lösungen schaffen, eine WIR-Identität schaffen – alles ruft danach, dass wir vom Einzelnen in die gemeinsame Gestaltungs- und Lösungskraft kommen.

„Wenn du schnell gehen willst, gehe allein. Wenn du aber weit vorankommen willst, gehe gemeinsam mit anderen.“ sagt ein afrikanisches Sprichwort.

Doch wie kommen wir zum gemeinsamen Denken? Erst einmal ist Denken ja etwas, was in EINEM Gehirn stattfindet. Dort gibt es die je individuelle Ausstattung, die eigenen Erfahrung jeglicher Art, den individuelle Wissensspeicher und die entsprechenden Synapsenverbindungen dazu. Dinge neu miteinander zu verknüpfen ist im je eigenen Gehirn möglich – und das ist Kreativität.

Und – wird die Kollaboration nicht völlig überbewertet? Ist nicht Kreativität allein viel klarer und gründlicher? Ist die „Schwarmintelligenz“ nicht zu Unrecht gehhypt, da oft ein oberflächliches Zusammenwerfen schneller Assoziationen? Gilt nicht die Großraumbürokultur als vermeintliche Brutstätte von Kreativität und guter Kooperation längst überholt?

 In der letzten Woche durfte ich an einem Seminar teilnehmen, aufgrund dessen ich mit neuem Bewusstsein und weit größerer Klarheit und Schärfe auf meine eigenen Erfahrungen wie auch die in der Bildungs- und Beratungsarbeit schaue: Ich erfuhr bei Matthias zur Bonsen und Jutta Herzog dass und wie „Thinking Circle“ funktioniert. Wie aus einer wirklich wild zusammengewürfelten Gruppe eine Gemeinschaft mit gleichem Fokus wurde. Die Prinzipien sind nicht wirklich die Erfindung des Rades – aber für mich die neue Ausgerichtetheit auf den Kreis. In neuer Bewusstheit und Entschiedenheit. Was gehört dazu?

Verlangsamung

Durch Innehalten am Anfang, durch eine Geschichte oder einer gut eingeläuteten Stille - Pause, beruhigt sich unser System und das Erregungslevel senkt sich auf das Maß, was es zur Arbeit an einer Sache benötigt. Gerade im Falle von Interessenskonflikten ist dies ein wesentlicher Wirksamkeitsfaktor. Verlangsamung im Kreis geschieht auch durch Routinen wie einem sichtbaren Redeobjekt oder Talking Stick, durch den gewährleistet ist, dass die Redebeiträge erst mit einer, wenn auch noch so kleinen, Pause aufeinander folgen. Hier stellt sich eine große Herausforderung: Wie bekommen wir diese Verlangsamung anschlussfähig an das sonstige Tempo der Organisation? Wie führen wir sie ein? Am Wesentlichsten ist hier der gute Kontrakt und die Autorisierung des Tuns durch die maßgeblichen Gestalter*innen der Organisation.

Psychologische Sicherheit

Für mich war die Durchführung der Methode eine einzige Herstellung und das Aufrechterhalten maximaler Sicherheit durch die Moderatoren. Allein die Tatsache, dass nicht allein moderiert wird, sondern das Moderatorenteam im Gegenübersitzen im Kreis, die Teilnehmenden von beiden Seiten im Blick hat, bewirkt eine Veränderung der Aufmerksamkeit für den Einzelnen. Zuhören in Aufmerksamkeit wird auch dadurch realisiert, dass jemand eigens dafür zuständig ist, auf den Prozess achtzugeben. Wesentlich für die Gleichberechtigung aller Redebeteiligten ist die Tatsache, dass alle den gleichen geschützten Raum haben – die üblichen Schnellen und die Vielredner haben hier nicht mehr Chance auf Teilhabe am Prozess als die sonst eher ruhigen, zurückhaltenden Menschen. Dies ist gerade wichtig, bei der Öffnung von Themen und bei Entscheidungen. Ein Check-In und Check-Out sollte zwar schon längst selbstverständlich zu den Grundpfeilern von Sitzungen jeglicher Art gehören – aber die präzise Ausführung derselben, die wirklich zu Sicherheit führt, bedarf einer Achtsamkeit und Bewusstheit, die über die üblich steuernde Alltagsmoderation hinaus geht.

Herstellung von Fokussierung

Das Thema steht und bleibt im Mittelpunkt. Die Prozessbegleitung sorgt dafür, dass auch optisch der Fokus in der Mitte des Kreises sichtbar wird. Durch die Einführung klarer Vereinbarungen – zu denen immer auch die Dienlichkeit aller Beiträge zum Anliegen gehört – wird die Fokussierung gestärkt. Es ist davon auszugehen, dass der Zeitverbrauch, der in der oben beschriebenen Verlangsamung liegt, sehr schnell durch die Fokussierung und das gute Zuhören zu einer soliden Qualität von Ergebnissen führt, die letztlich Zeit spart. Als Berater*innen wissen wir, dass die Gleichzeitigkeit von Öffnung und Fokussierung in offenen Fragen geschieht. Die Art der Fragestellung bedarf darüber hinaus jedoch – je nach Zeitpunkt und Kontext – die entsprechende Klarheit, Ressourcenorientierung, Fokussierung auf das Gemeinsame, eine offene Möglichkeit, das Thema mit sich zu verknüpfen usw.. Dazu brauchen wir als Begleitung die nötige Wachsamkeit für das was gerade für das System und sein Anliegen dran ist.

Für die wenigsten der Leser*innen sind diese Aspekte wirklich neu. Gemeinsam in die dazu wirksame Haltung zu gehen, war für mich in dem Seminar jedoch ein Unterschied, der sich direkt in den nächsten Interventionen an den darauffolgenden Tagen spürbar machte – und die Verbindung zu Gleichgesinnten wie auch die eigenen Reflexionen verhelfen dazu, diese Haltung des echten Zuhörens und des Glaubens an die Wirksamkeit des Sichtbar- und Hörbarwerdens im Kreis weiter zu nähren und umzusetzen.

Fazit: Ein Wir besteht aus Einzelnen. Das individuelle System braucht den eigenen Raum, um zur Ruhe zu kommen, sich zu gedanklich wie emotional zu sortieren und seinen Teil zu erledigen. Gründlichkeit hat auch etwas damit zu tun, erst einmal als Individuum den Dingen auf den Grund zu gehen. Für die Lösungen in Organisationen wie auch der Gesellschaften brauchen wir jedoch das gemeinsame Denken in psychologischer Sicherheit, um an einem Strang zu ziehen. Selbst ich als Soloselbstständige nutze deshalb nicht nur gemeinsame Denkräume, wie z.B. meine Intervisionsgruppe oder meine Kollegiale Beratung sondern auch Netzwerkpartner*innen, mit denen ich durch echten Dialog in guter Verbindung stehe, um auf dieser Basis komplexere Systeme halten und gestalten zu können. Wie sehr erst brauchen größere verantwortungsvolle Organisationen das gemeinsame offene Denken für ihre Zukunft!