Ab morgen mache ich das anders!

Goethe Farbenkreis zur Symbolisierung des menschlichen Geistes und Seelenlebens 1809Verhaltensänderungen aus neurowissenschaftlicher Sicht

 

Unser Gehirn ist zeitlebens lernfähig, doch der Weg zu neuem Verhalten ist mit großem Energieaufwand verbunden. Die Neurowissenschaften haben herausgefunden, dass der Mensch sich gern der automatisierten Wahrnehmungs-, Handlungs-, Emotions- und Motivationsschemata bedient. Diese bestehen aus Erfahrungswissen und steuern unser Verhalten.

Entscheidungen über alltägliches Verhalten werden im Gehirn vom sogenannten limbischen System getroffen. Dieses besteht aus der subkortikalen und der kortikalen Ebene. Der Cortex ist die äußere Schicht des Großhirns.

 

Angeborenes und früh erlerntes Verhalten

Die subkortikale, entwicklungsgeschichtlich ältere Ebene besteht aus unserem angeborenen Wahrnehmungs- und Reaktionssystem. Dort ist das Erfahrungswissen unserer Vorfahren gespeichert. Es ist unser „Ahnenschatz“. Diese Ebene ist primär unbewusst und wenig beeinflussbar. Sie bestimmt unser Temperament und unsere Affekte. Die Reaktionen aus dieser Ebene sind unwillkürlich und sehr schnell. In den ersten drei Lebensjahren kommen frühkindliche Erfahrungen, nicht zuletzt Bindungserfahrungen dazu. Die dabei entstandenen „sekundären Gefühle“ werden ebenfalls auf der subkortikalen Ebene gespeichert. Sie sind also nicht angeboren sondern früh erlernt, sind jedoch so stark im emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert, dass sie ebenfalls unbewusst sind. Das liegt nicht zuletzt an der sogenannten infantilen Amnesie, der Tatsache, dass wir uns an frühkindliche Erfahrungen nicht erinnern können. Affekte wie sekundäre Gefühle äußern sich unmittelbar durch chemische Prozesse und neuronale Effekte im Körper. Die dabei entstehenden „Kennzeichnungen“ oder „Markierungen“ des Körpers (Soma) werden von Antonio Domasio, einem portugiesischen Neurowissenschaftler „somatische Marker“ genannt. Das limbische System hat die angeborenen wie frühkindlichen Erfahrungen gespeichert und entscheidet in aktuellen Situationen einzig, ob ein Verhalten aufgrund dieses Wissens psychobiologisches Wohlbefinden fördert oder behindert, also wodurch erfahrungsgemäß Lust- oder Unlustempfinden entsteht.

Spätere Erfahrungen und Lerninhalte

Die kortikale Ebene des Gehirns umfasst Bewusstseinsinhalte, die zum Teil gelegentlich ins Vorbewusste absinken können. Dazu gehören einerseits die sozialen Erfahrungen vom 4. Lebensjahr bis zum Erwachsenenalter – sie sind in den limbischen Arealen der Großhirnrinde gespeichert und relativ nachhaltig. Sie können nur sozial-emotional verändert werden. Ferner gehört die kognitiv-sprachliche Ebene dazu, die uns Vernunft ermöglicht. Sie ist im Neocortex, der entwicklungsgeschichtlich jüngsten Gehirnschicht, verankert und verändert sich ein Leben lang. Die Vernunft gilt als rationaler Ratgeber bei Entscheidungen. Sie wird immer dann benötigt, wenn es zur aktuellen Situation noch keine automatisierten Vorgaben gibt oder bei langfristigen Planungen, wenn z.B. Erfahrungswissen kombiniert werden muss. Allerdings reagiert der Neocortex in Entscheidungssituationen zeitlich erst nach der subkortikalen Ebene. Letztere ist unumgehbar bei Entscheidungen. „Planungsvorgänge ohne körperliche und gefühlsmäßige Begleiterscheinungen bleiben intellektuelles Geplänkel im Kopf…“ (Storch/Krause, S. 51). Emotionen und ihre körperlichen Begleiterscheinungen sind integraler und stärkerer Bestandteil von Entscheidungen.

Lernen energiesparender Verhaltensweisen

Die Betrachtung im Detail zeigt, wie Lernvorgänge im Gehirn vonstattengehen. Wenn zwei Nervenzellen im Gehirn miteinander in Verbindung treten und Signale austauschen, geschieht das über Synapsen. Das Gesetz der „Hebbschen Plastizität“ (Donald Olding Hebb war ein kanadischer kognitiver Psychobiologe), welches lebenslange Lernmöglichkeiten dokumentiert, besagt „cells that fire together, wire together“. Wenn zwei Zellen gleichzeitig erregt sind, verdrahten sie sich über Synapsen. Hierbei entstehen bei Wiederholung starke sogenannte Bahnungen. Lernen ist also das Einspeichern synaptischer Übertragungsmechanismen. Je häufiger die Zellen gleichzeitig erregt werden umso leistungsstärker ist die Verbindung zwischen ihnen. Dabei entstehen nicht nur Verbindungen zwischen zwei Zellen, sondern ganze neuronale Netzwerke. Aus den verschiedensten Hirnregionen werden Informationen zu Einheiten verbunden. Das führt dazu, dass eine einzige Information durch gelerntes Wissen ergänzt, quasi komplettiert wird. Dies ist im Hinblick auf die Schnelligkeit und Vereinfachung von Entscheidungen einerseits hilfreich, andererseits entsteht dabei auch sogenanntes „maladaptives Wissen“, welches in der Vergangenheit aus gutem Grund gelernt, in der aktuellen Situation für die Sicherung des psychobiologischen Wohlbefindens jedoch nicht nützlich ist. Hier ist neues Lernen angesagt.

Die Bedeutung von Gefühl und Körper im Lernprozess

Wissen entsteht also aus sensorischen, emotionalen, körperlichen und kognitiven Erfahrungen und ist die Bereitschaft zur Aktivierung neuronaler Erregungsmuster. Gerade die positiven somatischen Marker, die auf Wohlbefinden und Lustgewinnung hinweisen, sind wesentlich im Hinblick auf die Motivation und die selbstwirksamen Willensakte des Menschen. Hierzu gilt es Zugänge zu schaffen über positive frühere Erinnerungen, die in der Gegenwart aktiviert werden. Dies kann durch Zukunftsimaginationen („Als-ob-Schleifen“) oder – besser noch - durch neues Erleben geschehen, welches optimaler Weise an alte, jedoch noch schwache Bahnungen anknüpft und diese verstärkt. Wollen Profis nachhaltig Verhaltensänderung bewirken, müssen Sie willkürlich steuerbares Verhalten beeinflussen. Die Verhaltensänderung – also das Verhalten gegen den alten Automatismus - kostet energetisch einen hohen Aufwand für den Lernenden. Um sich auf diesen Prozess einzulassen, muss er als wichtig eingestuft werden. Nachhaltigkeit ist erst bewirkt, wenn ein neuer Automatismus hergestellt wurde und nicht mehr über das neue Verhalten nachgedacht werden, es ständig vom Akteur selbst „kontrolliert“ werden muss. Dazu sind eine häufige Wiederholung und Übung, also Training notwendig, um das neue Verhalten dominanter zu bahnen als das alte. Das Ziel ist ein neues neuronales Netz, welches den alten Automatismus ersetzt.

Literatur:

Damasio, Antonio: Descartes‘ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. List 2004

Roth, Gerhard: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Klett-Cotta, Stuttgart 2007

Ryba, Alica; Roth, Gerhard: Integrative Coaching-Praxis mit neurowissenschaftlicher Fundierung. Coaching Magazin, 4/2017, S. 50ff

Storch, Maja; Krause, Frank: Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressource Modell (ZRM). Huber, Bern 2011